Zwei zentrale Elemente für erfolgreiche Smart Cities sind Good Governance und Partizipation – also geschickte Verwaltungsführung unter der Mitwirkung der Zivilgesellschaft. An der 6. nationalen Smart-City-Tagung vom Dienstag, 4. Dezember in Pully, legte Boyd Cohen, ein Vordenker in diesem Gebiet, die Bedeutung der Zusammenarbeit von Städten mit den Bewohnenden eindrücklich dar. Beispiele aus Oslo, Italien und der Schweiz untermauerten diesen Ansatz. Schliesslich wurde der Frage nachgegangen, wie der Schweizer Föderalismus mit der Digitalisierung umgehen soll.
Smart Cities können neue Lösungen für klimapolitische Herausforderungen bieten und eine Antwort darauf sein, wie das gesellschaftliche Zusammenleben der Zukunft aussieht. Mittlerweile ist jedoch klar, dass eine rein technologiegetriebene Vorgehensweise zu kurz greift, weil der Mensch als Ressource und Teil einer Smart City vergessen geht. «Entscheidend ist, dass die Technologie dem Menschen dient und dort eine Weiterentwicklung und Verbesserung der Lebensqualität erwirkt, wo sie am meisten Nutzen stiftet», begrüsst Gil Reichen, Gemeindepräsident von Pully die rund 250 Besuchenden der 6. nationalen Smart-City-Tagung des Bundesamts für Energie.
«Auch die kleinsten Städte beschäftigen sich mit den grössten Problemen»
Die Waadtländer Kleinstadt war Gastgeberin des diesjährigen Anlasses und ausserdem Schweizer Pionierin im Bereich Smart City. Die Stadt hat sich schon früh auf die Reise ins digitale Zeitalter begeben, um neue Massstäbe bei Mobilitätslösungen und der Stadtentwicklung herauszuarbeiten. Vom aktiven Messen der Verkehrsströme bis hin zum Ausbau der Infrastrukturnetze sowie automatisierten Prozessen in der Verwaltung hat die Stadt etliche Projekte partizipativ umgesetzt – immer unter dem Gesichtspunkt, die Lebensqualität in Pully zu verbessern. Dabei durfte sie auf die finanzielle Unterstützung von Schweizer Partnergemeinden sowie global auf das fachliche Knowhow von Experten zählen. Mittlerweile hat Pully seine Entwicklungsstrategie nach neun Stossrichtungen gegliedert. Darunter fallen unter anderem das Fördern der Sicherheit, die Verbesserung der Dienstleistungen und des digitalen Angebotes aber auch der Ausbau der KITA-Plätze sowie der kulturellen Institutionen. Nuria Gorrite, Regierungsratspräsidentin des Kantons Waadt, bekräftigt die Leistungen der Stadt: «Auch kleinere Gemeinden und Städte wie Pully beschäftigen sich mit den grössten Problemen.» Thierry Lassueur, Direktionsleiter des Amtes für Gewerbe und Industrie, und Alexandre Bosshard, Projektleiter, hoben deshalb die entscheidenden Vorteile des partizipativen Vorgehens für kleinere Gemeinden in ihrer Präsentation hervor. Das konkrete Problem zu erkennen ist einfacher, wenn die Bevölkerung eingebunden wird und deshalb wichtig, weil Fehlplanungen grundsätzlich teuer sind. Die komplexen Herausforderungen erfordern das Einbeziehen aller Akteure. Dadurch lassen sich die Kosten teilen und die Kompetenzen bündeln. Wichtig sei auch, dass der Umgang mit den neuen Technologien normalisiert und die Stärken von Big Data genutzt werden.
Die dritte Generation Smart City
Was Pully im Kleinen umsetzt, erforscht Boyd Cohen, der Vordenker des Smart-City-Ansatzes, seit mehr als einem Jahrzehnt. Gemäss dem Erfinder des Smart-City-Wheels, dass vielen Städten als Handlungsleitfaden beim Entwickeln ihrer Strategie dient, beschäftigt sich die Gesellschaft bereits mit der dritten Generation einer Smart City. Während die erste Generation noch von einem technologiegetriebenen Ansatz ausging, war die zweite Generation bereits der Auffassung, dass Städte die Strategien und Lösungen entwickeln und sie dann mit der Unterstützung der Privaten aus dem Tech- und Wirtschaftssektor realisieren lassen sollten. Was bisher fehlte, war der Mensch. Während seiner Forschungstätigkeit kam Cohen zur Erkenntnis, dass die meisten erfolgreichen Smart Cities die Probleme durch die Linse der Bevölkerung betrachten und diese beim Prozess miteinbeziehen. Entscheidend bei diesem menschenfokussierten Ansatz ist eine Kombination aus politischer Führung (Strategie) sowie dem Mitwirken der Gesellschaft und der Wirtschaft (Partizipation). Als weiteren neuen Erfolgsfaktor sieht Cohen die Blockchain-Technologie, weil sie die Mitwirkungskraft der Bevölkerung stärkt und auf dem virtuellen Marktplatz sämtliche Angebote frei gewählt werden können.
Vor allem aber werden die Lösungen in Smart Cities der dritten Generation vielfältiger, sind breiter abgestützt und stärken ebenso die lokale Wirtschaft.
Von neuen Wirtschaftszweigen und Ortsbildern
Das zeigt auch das Beispiel Oslo. Der norwegische Wohlstand fusst grösstenteils auf der Förderung von fossilen Brennstoffen. Weil diese jedoch keine Zukunft haben, schuf Norwegen in den letzten Jahren eine neue Industrie unter der Berücksichtigung der Nachhaltigkeit. Um beim Thema Smart City erfolgreich zu sein, erarbeitete die Stadt laut Silje Bareksten, Leiterin Smart City Oslo, zuerst zwei erforderliche Rahmenbedingungen: «Einerseits mussten wir das wirtschaftliche Ökosystem mit lokalen Unternehmen vorantreiben. Zweitens existierten in der Bevölkerung trotz der fortgeschrittener Digitalisierung gewisse Ängste, die abgebaut werden mussten.» Mithilfe von Bevölkerungs-befragungen flossen Informationen von der Öffentlichkeit in die Verwaltung zurück, anhand derer die Stadt konkrete Problemstellungen für lokale Start-Ups entwickeln konnte. In Accelerator-Programmen zur Förderung von Jungunternehmen kreierte die Verwaltung gemeinsam mit den Start-Ups erfolgreiche Lösungsansätze. Mittlerweile gibt es mehr als 50 solcher Accelerator-Programme und die Verwaltung hat dank dem generierten Expertenwissen gelernt, wie Nachhaltigkeitsziele während einer Legislatur effizient verfolgt werden können. «Die Öffentlichkeit in solche Diskussionen einzubringen ist wertvoll. Unserer Generation fehlen gewisse Kompetenzen, die neue Generation sieht die Welt mit anderen Augen», meint Bareksten.
Wie wichtig die Zustimmung zu solchen Projekten ist, hat auch der Italiener Dimitri Meili, Bürgermeister von Pegognaga, erfahren. Die kleine lombardische Gemeinde mit rund 7000 Einwohnerinnen und Einwohnern hat sich vorgenommen, die Infrastruktur des gesamten Gebiets auf einen Schlag aufzubauen, um den Grundstein für eine intelligente Stadt zu legen und gleichzeitig sämtliche alten Gebäude zu erneuern. «Es war wichtig, die Bevölkerung mit an Bord zu holen, denn mit dem Projekt haben wir die gesamte Gemeinde neu erfunden und strukturiert, es gab richtige kulturelle Kämpfe», erklärt Meili. Trotzdem begrüsst er das effiziente Vorgehen: «Wir haben mittlerweile ein dichteres Glasfasernetz als Milano, sind eine nachhaltig fortschrittliche Gemeinde und generell wird zu viel geredet und zu wenig gehandelt. Man sollte die Lebensqualität verbessern, wo es Sinn macht», so der Gemeindepräsident.
Partizipation – immer auch offline und Widersprüche zulassen
Matthias Drilling vom Institut für Sozialplanung der Fachhochschule Nordwestschweiz machte auf wichtige Herausforderungen beim Thema Partizipation aufmerksam. Einerseits sei die Mitwirkung der Bevölkerung als knappe Ressource zu betrachten. Andererseits muss eine dynamische Planung immer mit Unsicherheiten leben, wobei sie damit erfreulicherweise auch neue kooperative Zusammenarbeitsformen ermöglicht. Lukas Ott, Stadtentwickler aus Basel legte dar, dass in Basel die Mitwirkung in der Verfassung festgeschrieben ist und bei der Entwicklung des neuen städtischen Quartiers Wolf angewendet wird. Konkret zeigte die Stadt Wil (SG), wie gemeinsam mit der Bevölkerung Ziele und Prioritäten erarbeitet werden. Dank dem spielerischen Ansatz schuf die Stadt in der Bevölkerung Vertrauen und Zustimmung und motivierte sie zum aktiven Engagement.
Die smarte Schweiz – der Umgang mit Digitalisierung
Neben Pully sind auch weitere Städte mit ihren Smart-City-Strategien erfolgreich unterwegs. Sei es in Wil, in Genf, in Montreux oder der Stadt Basel – es werden mittlerweile schweizweit wegweisende Projekte unter partizipativer Mitwirkung umgesetzt, mit ähnlichen Erfolgen wie in den internationalen Städten. Das auch dank der immer besserwerdenden Vernetzung zwischen den Städten und Akteuren. Das Bundesamt für Energie fördert diese Zusammenarbeit seit 2012. Für Patrick Kutschera, Geschäftsführer von EnergieSchweiz, braucht es deshalb das Aufbrechen von Grenzen und Silos: «Smart City muss im grösseren Kontext verstanden werden, als smarte Schweiz, in der ganzheitliche Ideen umgesetzt werden». Es brauche harmonisierte Plattformen, jedoch sei Smart City vor allem auch ein Laboransatz, bei dem die richtige Lösung noch gefunden werden müsse, meint Kutschera.
Einig waren sich sämtliche Rednerinnen und Redner, dass die Gesellschaft die verschiedenen Rollen noch festlegen muss und die Bildung eine essentielle Rolle spielen wird. «Wir müssen die Bürger neu bilden und aufklären», meint beispielsweise Nuria Gorrite und bekräftigt ausserdem, dass die Kantone und der Bund für die sicheren Rahmenbedingungen sorgen und den Fortschritt für alle zugänglich machen müssen. Gleichzeitig müssen die Bemühungen auch die nachhaltigen Aspekte berücksichtigen: «Niemand will in der fortschrittlichsten Smart City leben, wenn es kein Trinkwasser oder frische Luft zum Atmen gibt», erklärt Silje Bareksten.
Wenn die Technologie jedoch konsequent als Werkzeug zum Wohle des Menschen genutzt wird und die Gesellschaft Probleme aus neuen Blickwinkeln angeht, dann gibt es für das Konzept der intelligenten Stadt kaum Grenzen und wir kommen der Zukunftsvision von Boyd Cohen einen grossen Schritt näher: Hin zu einer lokalen aber global-vernetzten, digitalen, kooperativen, städtischen Ökonomie, die Wohlstand für alle möglich macht.
Präsentationen
The evolution of Smart Cities (en)
Boyd Cohen
The human centric Smart City (en)
Silje Bareksten
Il Comune su misura (it)
Dimitri Melli
Les pouvoirs secrets des petites villes (fr)
Thierry Lassueur, Alexandre Bosshard
Smart Canton Genève -Quels enjeux de gouvernance? (fr)
Gianfranco Moi
Smart City Montreux (fr)
Caleb Walther, Pascal Mullener
Partizipation in der Stadtentwicklung
Matthias Drilling
Smart City Basel
Lukas Ott
Smart City Wil.Grötzinger
Stefan Grötzinger, Stephan Juen
Beispiel
Neue Beschaffungslösungen in der Verwaltung dank partizipativem Ansatz
Eine Stadt will die Elektromobilität fördern und hat dafür ein Budget von 1 Mio. Franken. Normalerweise würde sie eine eigene Flotte kaufen und per Werbung darauf aufmerksam machen. Bei einer neuen Vorgehensweise fragt sie verschiedene Stakeholder und erhält statt einem drei innovative Vorschläge:
- Ein Start-Up möchte mit der Million die Dichte an Elektrotankstellen erhöhen, da der Mangel häufig ein Bremser beim Kauf eines eigenen E-Fahrzeugs ist.
- Eine Bürgerbewegung sieht in einer Car-Sharing-Plattform für Anwohnerinnen und Anwohner die beste Möglichkeit, den Verkehr in den Wohngebieten umweltschonend zu entlasten und damit den Arbeitsweg zu verkürzen.
- Schliesslich bietet ein Autogrosshersteller der Stadt eine gute Umsetzung für den Ansatz an, den sie sonst schon wählen würde.